13. August 2019

"Move": Ein Sprungbrett in die Arbeitswelt

FSJ, BFD oder Weltwärts – Für viele junge Menschen gehört ein Freiwilligendienst nach ihrem Schulabschluss dazu. Sozial benachteiligte Jugendliche nehmen diese Programme häufig nicht wahr. Die Diakonie RWL will diese Lücke mit dem Programm "Move" schließen und hat jetzt die Plätze verdoppelt. 

Junger Mann mit zwei Kindern auf den Schultern

Dennis Rosenstein

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Frida heult laut auf. Dicke Tränen kullern über ihr Gesicht. "Meine Hose ist kaputt", schluchzt das blonde Mädchen, "Dennis, schau doch mal, da ist ein Loch." Dennis Rosenstein kniet sich zu ihr in den Sand, begutachtet das kleine Loch in der blauen Leggings und nimmt Frida tröstend in den Arm.
Dennis Rosenstein kann gut mit Kindern umgehen. Er ist ruhig, verständnisvoll und bringt jede Menge Geduld mit. Dass der 20-Jährige einen Freiwilligendienst in der evangelischen Kindertagesstätte der Diakonie in Düsseldorf macht, ist dennoch nicht selbstverständlich. "Ich hatte keine gute Kindheit", sagt er. Im Alter von 13 Jahren zog er in seine erste Wohngruppe. "Aber Kind ist man halt nur einmal. Ich möchte das den Kindern hier in der Kita ermöglichen – zu spielen, zu lernen, eben einfach Kind zu sein."

High Five - Frida und Dennis Rosenstein schlagen ein.

Ein geschützter Raum

Bei der Diakonie RWL beginnen jedes Jahr rund 2.000 Jugendliche ihr Freiwilliges Soziales Jahr oder den Bundesfreiwilligendienst. 60 Prozent der Teilnehmer haben das Abitur. Für sozial benachteiligte Jugendliche bleibt da wenig Raum. "Sie gehen in den regulären Programmen häufig unter", sagt Regina Kluck, Hauptverantwortliche für das "FSJ Move" in der Diakonie RWL. "Das passt dann manchmal einfach nicht, wenn da der Abiturient im Seminar sitzt und erzählt, er wolle nach dem Dienst Jura studieren. Das schüchtert ein", erklärt die Bildungsreferentin. Deshalb hat die Diakonie RWL die Plätze in diesem Jahr auf 40 verdoppelt. Seit 2016 gibt es das Programm.
"Move" richtet sich an junge Menschen, die in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe eingeschränkt sind. Ursachen für die Benachteiligung seien häufig die familiäre Situation, finanziell prekäre Verhältnisse oder Lernschwierigkeiten. Das Programm wolle daher einen geschützten Raum schaffen, sagt Kluck: "Viele der Teilnehmer melden uns zurück, dass sie sich zum ersten Mal so geben können, wie sie sind und sich nicht verstellen müssen." Rosenstein stimmt ihr zu: "Es ist eine Chance, der Druck ist nicht so hoch wie bei einer Ausbildung. Man kann erst einmal in einen Beruf hereinschnuppern und Erfahrungen sammeln."

Nebeneinander sitzend

Regina Kluck besucht Dennis Rosenstein regelmäßig in der Kita und diskutiert mit ihm Schwierigkeiten, Wünsche und seine Zukunftspläne. 

Zusätzliche Unterstützung im Move-Programm

Das "Move"-Programm ist aufgebaut wie das Freiwillige Soziale Jahr. Es bietet den Teilnehmenden aber zusätzliche Unterstützung, um das FSJ zu beenden und den Alltag zu meistern. Bildungsreferenten wie Regina Kluck halten engen Kontakt zu den Freiwilligen und besuchen sie regelmäßig in den Einrichtungen.
Zusätzlich gibt es mindestens fünf Seminare mit maximal 20 Teilnehmenden. "Die Seminare sind super", sagt Rosenstein begeistert, "es war gut für mich, mal raus zu kommen. Man hat da mehr Ruhe und Freiraum." Viele der Jugendlichen haben negative Schulerfahrungen gemacht. "Move" möchte deshalb eine andere Form des Lernens bieten. In den praktisch und lebensnah gestalteten Seminaren geht es um Konfliktlösung und Empathie, aber auch um berufliche Perspektiven. Denn für die meisten ist der Dienst ein Sprungbrett in die Arbeitswelt. "Der überwiegende Teil zieht das Freiwillige Jahr durch", sagt Kluck, "und sehr viele machen im Anschluss direkt eine Ausbildung." Vor allem Freiwillige in Seniorenheimen blieben häufig in den Einrichtungen und würden direkt als Azubis übernommen. "Durch das FSJ haben sie die Möglichkeit, unabhängig von ihren Zeugnissen zu zeigen, was sie können. Diese Chance erhalten sie sonst selten."

Im Sandkasten

Elena möchte mit Dennis Rosenstein eine Sandburg bauen.

Vom FSJ in die Ausbildung

Auch Dennis Rosenstein hat durchgehalten. "Der Anfang war schwer", erinnert er sich. Er habe viel fragen müssen und sich manchmal nicht getraut, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. 40 Kinder sind in seiner Kita-Gruppe. "Das ist kein leichter Job", so Rosenstein. Nach der Arbeit falle er meist sehr erschöpft ins Bett. 
Jetzt, nach einem knappen Jahr, sei er viel selbstständiger und auch souveräner, sagt der 20-Jährige. Ende August beginnt er seine zweijährige schulische Ausbildung zum Kinderpfleger. Dennis Rosenstein ist stolz auf sich und gleichzeitig auch ein wenig traurig: "Es ist sehr schade, dass es bald vorbei ist." Er wird die Kinder vermissen. Für die Praktika in seiner Ausbildung hat er bereits einen Kindergarten gefunden. "Über 30 Anrufe habe ich in einer Woche gemacht", erzählt Rosenstein nebenbei, "und dann ging es ganz schnell und ich hatte den Praktikumsplatz." Regina Kluck schaut beeindruckt: "Da gehört Mut zu, das so durchzuziehen." Und damit meint sie vermutlich nicht nur die Telefonate.

Text und Fotos: Ann-Kristin Herbst