"Ich bin an der Arbeit sehr gewachsen"

Benjamin Busumtwi ist nur ein Beispiel von vielen: Die Wege in den Bundesfreiwilligendienst (BFD) oder das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) in der Graf Recke Stiftung sind ebenso vielfältig wie die Aufgabengebiete. Ob Kindergartenassistenz, Schulbegleitung, die Unterstützung von Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Behinderungen oder die Begleitung von Senioren: die Freiwilligendienste sind eine gute Möglichkeit, in einen sozialen Beruf hineinzuschnuppern – unabhängig davon, ob dieser der Karrierewunsch der Zukunft ist.
Manchmal ist ein Freiwilligendienst auch ein erster Schritt zur Umorientierung. Wie bei Nicole Lissek. Die gebürtige Velberterin war auf einem guten Weg. Nach ihrem Studium der Sozialwissenschaften in Duisburg fand sie gleich eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft an der Uni Bielefeld. Bis Ende 2013 war sie danach Sachbearbeiterin in einem Bundesinstitut in Bonn, ein Job mit Anspruch und Verantwortung. Und doch der falsche für die heute 29-Jährige, wie sich zeigen sollte. Nun kümmert sie sich stattdessen als „Bufdi“ im Auftrag des Familien unterstützenden Dienst (FuD) der Graf Recke Erziehung & Bildung darum, dass sich der kleine Janne wohlfühlt und gut entwickelt – und ist so viel zufriedener mit ihrem Beruf, ja, mit ihrem Leben.
Nicole Lissek war noch keine 30, da hat sie sich gedacht: „Da kann man noch was Neues beginnen““ Und schnell war klar, dass es etwas im sozialen Bereich sein soll, am liebsten mit Kindern und Jugendlichen. So kam Lissek als Freiwillige zum FuD und übernahm zunächst die Assistenz eines Grundschülers mit komplexer Behinderung an einer Förderschule in Köln-Müngersdorf. Neun Monate lang kümmerte sie sich um den Achtjährigen im Rollstuhl, der nicht über Lautsprache kommunizieren kann. Bereut habe sie ihre Entscheidung, noch einmal neu anzufangen, in keinem Moment. „Das war richtig und gut“, sagt sie und strahlt. Früher habe sie sich, etwa auf Partys, „nie richtig wohlgefühlt, mich mit meinem Job vorzustellen, andere dafür zu begeistern, was ich jeden Tag mache“. Das ist inzwischen anders. „Ich finde, der Bundesfreiwilligendienst ist für über 27-Jährige eine tolle Lösung“, sagt sie, „nachdem ich das FSJ sozusagen verpasste habe.“
Larissa dagegen war erst 18, als sie ihr BWL-Studium abbrach, „weil ich schnell gemerkt habe, dass das nichts für mich ist“. Da im Familien unterstützenden Dienst der Graf Recke Stiftung gerade ein FSJ-Platz frei wurde, rutschte sie kurzfristig dort hinein. Dass Larissas Wecker während ihres Freiwilligen Sozialen Jahres montags bis freitags in aller Frühe klingelte, macht ihr nichts aus. Um 6.30 Uhr war sie auf dem Weg nach Wuppertal, um David in seinem Rollstuhl am Bus abzuholen und in die Klasse zu bringen. Sie begleitete ihn in der Schule, zu Therapien, durch den Alltag. Wenn David nachmittags mit dem Schulbus zurück zu seiner Familie fuhr, war auch für Larissa Feierabend.
Nach ihrem Freiwilligen Sozialen Jahr im Familien unterstützenden Dienst hat sie dort weitergearbeitet, sich für ein Sonderpädagogikstudium eingeschrieben und voll und ganz den Weg in den sozialen Beruf eingeschlagen. Für Larissa steht fest: Ihr Einsatz als FSJlerin war für sie und ihren weiteren Lebensweg von allergrößter Bedeutung: „Ohne die Erfahrungen mit David und den anderen Kindern hätte ich nicht zu meinem jetzigen Berufswunsch gefunden. Und mit dem bin ich total glücklich!“
Die enge Bindung an den Schützling ist bei vielen Freiwilligen im Familien unterstützenden Dienst eine hohe Motivation. Zu sehen, wie die Hilfe wirkt, vielleicht sogar eine Entwicklung des Schützlings stattfindet, das fühlt sich gut und sinnvoll an, nicht nur bei jenen Freiwilligen, die später auch in einen sozialen Beruf wollen. Der 21-jährige Sven, der nur „das Jahr gut rumkriegen wollte“, bevor sein Studium begann, würde ein FSJ jedem empfehlen. Sein Berufsweg führt trotz seiner guten Erfahrungen in eine andere Richtung. Die 18-jährige Leonie, hat ein Freiwilliges Soziales Jahr gemacht, weil sie diese berufliche Erfahrung sammeln wollte – und weiß jetzt, dass das als Beruf nichts für sie ist. „Aber ich habe hier trotzdem viele tolle Erfahrungen gemacht.“ Kai, 19, hat als FSJler an einer Förderschule für geistige Entwicklung ebenfalls Erfahrungen gesammelt, die ihn umdenken ließen. Seine Neuorientierung fand aber innerhalb des sozialen Bereichs statt: »Ich habe festgestellt, dass ich gern mit älteren Menschen mit Handicaps arbeite. Deshalb habe ich mich nach meiner Kinderpflegeausbildung umentschieden und werde Sonderpädagogik studieren.«
Jacob Lierenfeld hat sich für einen Einsatz im Heilpädagogischen Verbund der Graf Recke Stiftung, entschieden. „Die Arbeit in dem Wohnhaus macht mir noch mehr Spaß als ich erwartet hatte. Erst dachte ich, dass es schwierig ist, Kontakt zu Menschen mit einer geistigen Behinderung aufzunehmen, aber dann war es doch ganz einfach. Und jetzt sagen mir die Bewohner sogar, dass sie traurig sind, wenn ich Ende Februar wieder gehe.“ Jacob Lierenfeld hat die soziale Arbeit als Überbrückung für ein halbes Jahr gewählt, da er eine Ausbildung im kaufmännischen Bereich plant und vorher eben mal was ganz anderes erleben wollte. „Man lernt auf jeden Fall sehr viel“, fasst er es zusammen. Und auch wenn die Tätigkeitsfelder anspruchsvoll sind: Vorkenntnisse muss niemand haben, vielmehr sind Offenheit und Spaß am Umgang mit Menschen ganz wichtig.
Beides hat Laurin Hellfeier: Er kam über Internet-Recherche auf eine ausgeschriebene Stelle für ein FSJ in der Graf Recke Stiftung. „Ich konnte mich zwischen zwei Bereichen entscheiden: Der Heilpädagogik und der Sozialpsychiatrie. Aufgrund meiner persönlichen Neigung zu Pädagogik und Psychologie wählte ich die Sozialpsychiatrie, ohne eine genaue Vorstellung von der tatsächlichen Arbeit dort zu haben.“
Während der ersten Wochen begleitete Laurin Hellfeier seine neuen Kollegen und versuchte erst einmal, die alltäglichen Abläufe und Aufgaben zu verinnerlichen: Wer muss morgens geweckt werden, wer braucht Unterstützung um zur Arbeitstherapie zu gelangen und wie wird das gemeinsame Abendessen zubereitet? Dann begann er, Dinge auch eigenständig zu erledigen. „Ich war nun mit den meisten Bewohnern vertraut genug, um sie bei anfallenden Aufgaben zu begleiten: Seien es Lebensmittel- und Kleidungseinkäufe, Arztbesuche oder sonstige Erledigungen für den privaten Bedarf.“
Auch im Bereich der Senioreneinrichtungen der Graf Recke Wohnen & Pflege sind die Einsatzmöglichkeiten der FSJ-Kräfte vielfältig und je nach persönlicher Neigung und Eignung in den Bereichen Pflege, Sozialtherapeutischer Dienst oder auch Hauswirtschaft möglich. Birgit Kleekamp, Leiterin der beiden Düsseldorfer Pflegezentren, sieht ihre freiwilligen Kräfte gut in die Arbeitsabläufe eingebunden. Dazu bekommen sie nach einer angemessenen Einarbeitung auch schon mal eigene Aufgabenbereiche. „FSJler“, sagt Birgit Kleekamp, „sind vollwertige Teammitglieder und immer gern gesehen!“
Ob als Orientierungshilfe nach dem Abitur, als Überbrückung bis zum Studienbeginn, als Praxistest vor einem sozialen Studium, als Erfahrung fürs Leben oder als ersten Schritt auf einem ganz neuen Weg: FSJ und BFD ermöglichen es jungen oder auch älteren Menschen, ein Jahr lang etwas auszuprobieren und Erfahrungen zu sammeln. Nicole Lissek, die ihren Job als im Bundesinstitut an den Nagel hing, um ein Jahr unentgeltlich im Bundesfreiwilligendienst den kleinen Janne zu begleiten, hat keinerlei Zweifel: „Für mich“, sagt sie, „war das Jahr ein Wendepunkt. Und zwar in die richtige Richtung.“ Und auch FSJler Laurin Hellfeier sieht nicht nur den beruflichen Aspekt seines Dienstes: „Ich bin an der Arbeit sehr gewachsen, viel mehr noch, als ich vorher glaubte. Die Arbeit ist so nah an den Menschen, dadurch habe ich in dieser doch eigentlich kurzen Zeit auch viel über mich selbst lernen können.“